Psychische Belastungen bei Jugendlichen im digitalen Zeitalter
Ob Stress in der Schule, Druck in den sozialen Medien oder Angst vor der Zukunft: Noch nie mussten so viele Mädchen und junge Frauen in der Psychiatrie behandelt werden. Besonders betroffen sind die 14- bis 19-Jährigen.

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Susanne Walitza,
Direktorin Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Nach Unicef-Berichten, die seit 2020 die mentale Gesundheit der Jugend dokumentieren, schneiden die skandinavischen Länder und die Schweiz insgesamt gut ab. Und doch nimmt auch hierzulande der Bedarf an Versorgungsleistungen für psychisch belastete Kinder und Jugendliche seit einigen Jahren zu. Wie kommt es dazu?
Blickt man zurück, zeichnete sich diese Entwicklung bereits vor einem Jahrzehnt ab. In den Vereinigten Staaten kam es seit 2012 zu einem Anstieg psychischer Störungen bei Jugendlichen, insbesondere bei Mädchen. Diskutiert wurde damals schon ein Zusammenhang von Störungen aufgrund des erhöhten Medienkonsums und vor allem der wachsenden Nutzung sozialer Medien. Zudem nahm selbstverletzendes und suizidales Verhalten zu. Diese Entwicklung liess sich bald auch in Europa nachweisen. Auch die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie ist seit einigen Jahren mit der zunehmenden Zahl Jugendlicher mit psychischen Störungen konfrontiert. Seit der Covid 19-Pandemie hat sich die Zunahme psychischer Störungen weiter akzentuiert.
Auch im Hinblick auf die Gesamtgesundheitskosten zeichnen sich Veränderungen ab. Im Durchschnitt machen psychiatrische Leistungen zwar nur knapp 6 % der Gesamtgesundheitskosten aus. Wenn man nur Mädchen und junge Frauen zwischen 11 und 18 Jahren betrachtet, fallen davon jedoch mittlerweile 20 % der psychiatrischen Gesundheitskosten auf diese Gruppe.
Vermehrte Symptome von Irritabilität
Kinder und Jugendliche stellen eine besonders vulnerable Gruppe dar, dies auch, weil sie weniger Lebenserfahrung besitzen als Erwachsene, daher über weniger Bewältigungsstrategien verfügen und sich gegen negative Einflüsse weniger gut schützen können. Mädchen scheinen besonders betroffen zu sein. Sie neigen dazu, niemanden belasten zu wollen, reagieren mehr internalisierend mit Angst und Depression und schliesslich mit Essstörungen, selbstverletzendem und zunehmend auch mit suizidalem Verhalten. Mädchen und junge Frauen sind besonders empfindlich gegenüber dem kontinuierlichen Druck zur Selbstoptimierung und der Herausforderung, den idealisierten Rollenbildern, die in den sozialen Medien propagiert werden, gerecht zu werden. In den sozialen Netzwerken wie Instagram oder TikTok wird oftmals ein perfektes Leben suggeriert. Alle sehen gut aus, sind sportlich und können sich alles leisten. Viele Jugendliche lassen sich von diesen Inszenierungen blenden. Jugendliche, die weniger Unterstützung in ihren Familien erhalten, sind davon besonders betroffen.
Ein Drittel der Jugendlichen berichtete zum Beispiel in der «Switzerland, Liechtenstein, Zurich Foundation, Unisanté Studie», dass sie unter psychischen Problemen leiden würden. Ebenfalls jede dritte Jugendliche unter den 14- bis 19-Jährigen gab an, niemanden zu haben, mit dem sie über ihre Probleme sprechen könne. Einsamkeit, Gefühle von Kontrollverlust, aber auch spezifische Faktoren wie weltweite Krisen, Spaltung der Gesellschaft, Digitalisierung oder Probleme mit sozialen Medien wurden unter anderem in der «Trendstudie», die seit einigen Jahren in Deutschland jährlich durchgeführt wird, dokumentiert. 2023 wurde darin ein Generationenvergleich erstellt. Hier zeigte sich, dass deutlich mehr Jugendliche als Erwachsene unter Stress, Erschöpfung, Selbstzweifel und Gereiztheit leiden. Die Autoren schlussfolgerten, dass an Schulen und anderen Institutionen Angebote ausgebaut werden sollten, um die Chronifizierung von psychischen Störungen zu vermeiden.
Unsere eigenen Studien an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie bestätigen diese Befunde: Konkret konnten wir aufzeigen, dass Mädchen zum Beispiel während der Covid 19-Pandemie vermehrt Symptome von Irritabilität entwickelt haben. Nach der Pandemie zeigte sich eine Zunahme suizidaler Verhaltensweisen und Sorgen, keine Behandlung zu erhalten. In unseren Notfallsprechstunden und in der Krisenintervention für Jugendliche – Life sehen wir deutlich mehr Mädchen als Jungen. Sicher sind dafür einige der genannten Faktoren ursächlich, ein Grund könnte aber auch sein, dass Mädchen eher als Jungen Hilfe suchen und sich mitteilen.
Prävention und Früherkennung vorantreiben
Neben einer besseren Versorgung spielt aus unserer Sicht die Prävention, die Früherkennung und die Frühintervention eine besondere Rolle. Erfreulicherweise haben der Zürcher Regierungsrat und die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich Massnahmen zur Verbesserung der Versorgungssituation ergriffen. 2021 wurde mit dem RRB Nr. 598/2021 ein umfassendes Massnahmenpaket mit insgesamt sieben Massnahmen beschlossen, um die stationäre und ambulante kinder- und jugendpsychiatrische Grundversorgung rasch zu verbessern. Eine dieser Massnahmen hat in Kooperation mit der Stiftung Children Action zur Eröffnung der Krisenintervention für Jugendliche - Life im 2022 geführt. Im selben Jahr wurden die Massnahmen mit dem Regierungsratsbeschluss RRB Nr. 1476/2022 weitergeführt und durch zusätzliche Massnahmen ergänzt. Damit konnte die Versorgung stabilisiert werden, allerdings auf sehr hohem Auslastungsniveau.
Unsere Qualitätsmessungen und eigenen Untersuchungen haben gezeigt, dass es in den letzten Jahren vor allem zu einer Zunahme von emotionalen Störungen kam, vor allem auch von Angst und depressiven Störungen sowie zu Krisen und Problemen, die sich durch erlebten Stress verstärkten.
Mit unserem vermehrten Engagement in der indizierten Prävention, Früherkennung und im signifikanten Abbau von Wartezeiten für ambulante Behandlungen leisten wir hier einen wichtigen Beitrag. Durch unser Notfall-und Triagezentrum und die Krisenintervention für Jugendliche - Life können wir Jugendlichen in der Krise und in Not immer und sofort eine Unterstützung anbieten.