Manfred Bleuler
Manfred Bleuler verändert die von seinem Vater gelegten Grundlagen, vor allem mit Blick auf das Schizophreniekonzept, nicht entscheidend, betont aber in pragmatischer und patientenzentrierter Weise den Wert psycho- und sozialtherapeutischer Methoden gerade in der Behandlung schwer kranker Menschen.
Manfred Bleuler lässt zentrale Elemente des Schizophreniekonzepts seines Vaters unverändert. Zur Frage der Verursachung der Erkrankung äussert er sich auffallend zurückhaltend. Zwar hat auch er keine Zweifel, dass neurobiologische Faktoren in der Ätiologie und der Pathogenese schizophrener Erkrankungen eine grosse Rolle spielen, doch seien, so seine Überzeugung, psychische und soziale Faktoren gleichrangig zu berücksichtigen. Deutlicher als sein Vater betont er, dass es sich nie um statische Ursachenbündel handeln könne, vielmehr seien alle Einflussfaktoren ständigen Interaktionen unterworfen. Diese Grundhaltung lässt ihn vermeintlichen Gesamterklärungen psychischer Erkrankungen, welcher theoretischen Provenienz auch immer, mit grosser Skepsis gegenüber stehen. Mehrfach, unter anderem in der 9. Auflage des Lehrbuchs von 1955, nennt er das «Wesen der Schizophrenie ... eines der grössten Rätsel unserer Zeit».
Auch Manfred Bleuler legt grossen Wert auf die Langzeitbeobachtung von Krankheitsverläufen. Psychoanalytische Elemente spielen bei ihm eine geringere Rolle, vielmehr verschiebt er den therapeutischen Fokus gerade bei schwer erkrankten Patienten auf die Förderung von Aktivität und Tagesstruktur sowie, als verbindendes Prinzip, auf die Wirksamkeit der therapeutischen Gemeinschaft.
In der Schizophrenielehre verbinden Eugen und Manfred Bleuler folgende Grundüberzeugungen: Es handelt sich um eine schwere psychische Erkrankung mit komplexen klinischen Zustandsbildern und Verläufen. Unbeschadet der Bedeutung (neu-ro-)biologischer Faktoren erscheint ihnen ein sehr eng gefasster Naturalismus, der psychopathologischen Phänomenen jede Eigenständigkeit abspricht, für die Psychiatrie ungeeignet. Zugleich verteidigen sie den Schizophreniebegriff gegen Vorschläge, entweder ganz von diagnostischen Konventionen abzusehen oder lediglich charakteristische Symptomenverbände («Syndrome») oder einzelne Symptome zu erfassen. Beide sind sich einig, dass einer differenzierten psychopathologischen Methodik ein entscheidender Stellenwert zukommt. Diese habe aber nicht nur deskriptive, sondern auch hermeneutische und, wie wir heute sagen würden, systemische Elemente zu integrieren.