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Kein Täter werden - Präventionsstelle Pädosexualität

Seit Mai 2021 ist die Präventionsstelle Pädosexualität der Klinik für Forensische Psychiatrie operativ tätig. Sie bietet niederschwellige, kostenfreie Beratung und Behandlung für erwachsene und jugendliche Menschen an, die Hilfe suchen, weil sie sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und darunter leiden.

Fanny de Tribolet-Hardy, Leiterin Präventionsstelle Pädosexualität

Sexueller Kindesmissbrauch gehört zu den schwersten und für die Opfer weitreichendsten Delikten. Weltweit sind 13.4% bis 19.7% der Mädchen und 5.7% bis 8.8% der Jungen von sexuellem Missbrauch betroffen. Davon wird jedoch nur ein Bruchteil strafrechtlich verfolgt. Schweizweit wurden in den letzten 10 Jahren jährlich zwischen 1’100 und 1’300 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch gemeldet. Die Diskrepanz zwischen Anzeigeraten und selbstberichteten sexuellen Missbrauchserfahrungen wird auf eine niedrige Anzeigebereitschaft zurückgeführt, die wiederum durch die Nähe zwischen Opfer und Täter, junges Alter der Opfer sowie geringes Vertrauen in die Behörden beeinflusst wird. Während die Strafverfolgung wesentlich und notwendig ist, um sexuelle Gewalt gegen Kinder einzudämmen, erreicht sie somit nur einen geringen Teil der Täterinnen und Täter. In Anbetracht des grossen Dunkelfelds sind daher auch präventive Strategien zur Verhinderung von sexuellem Kindesmissbrauch angezeigt.

Prävention als ein Eckpfeiler

Die Notwendigkeit präventiver Strategien gewann in der Schweiz im Jahr 2016 politische Bedeutung und begründete nach Erstellung eines Forschungsberichts zu deren Wirksamkeit im Jahr 2020 Empfehlungen des Bundesrats zum Aufbau sprachregionaler respektive kantonaler Beratungs- und Behandlungsangebote. Vor diesem Hintergrund wurde mit Unterstützung der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich im Jahr 2021 die Präventionsstelle Pädosexualität an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich gegründet.

Die täterbezogene Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch fokussiert auf die Behandlung von Menschen mit sexuellen Interessen an vor- oder frühpubertären Personen. Die Prävalenz der Pädophilie beziehungsweise von pädophilen Störungen in der Allgemeinbevölkerung wird auf etwa 1% geschätzt, wobei Männer häufiger betroffen sind als Frauen. Analog zu allen anderen sexuellen Präferenzen (etwa der Hetero- oder Homosexualität) manifestieren sich auch pädophile Präferenzen bereits im Lauf der Pubertät und sind der betroffenen Person in der Regel bewusst. Weiter beschränkt sich die Präferenz nicht auf ein rein sexuelles Interesse, sondern beinhaltet analog zu Homo-, Hetero- und Bisexualität auch den Wunsch nach einer Beziehung, Liebe und Zuneigung. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Entstehung von sexuellen Präferenzen bewusst beeinflusst werden kann. Somit wird davon ausgegangen, dass die Pädophilie Schicksal der Betroffenen ist und nicht ihre freie Wahl.

Der Umgang von betroffenen Personen mit ihrer eigenen pädophilen Präferenz nimmt sehr unterschiedliche Formen an. In der öffentlichen Wahrnehmung dominiert der Aspekt der Gefährdung von Kindern. Vor dem Hintergrund des ausgeprägten Machtgefälles zwischen Erwachsenen und Kindern sowie der für die Opfer schwerwiegenden Folgen sexueller Übergriffe ist diese kritische Betrachtungsweise unerlässlich. Dennoch sind voreilige Kausalzusammenhänge zu vermeiden. So legen empirische Ergebnisse nahe, dass weder alle sexuellen Übergriffe an Kindern von pädophilen Personen ausgehen – tatsächlich sind es nur etwa 25% bis 50% –, noch alle Personen mit Pädophilie sexuelle Straftaten gegen Kinder begehen. Analog zu anderen sexuellen Neigungen wird auch bei Pädophilen von einer intakten Verhaltenskontrolle ausgegangen, die jedoch durch konstellierende Faktoren gestört werden kann, beispielsweise durch antisoziale Persönlichkeitsmerkmale, psychische Erkrankungen, Impulsivität, Substanzmissbrauch oder Intelligenzminderung.

Insofern ist zu resümieren, dass Pädophilie und sexueller Kindesmissbrauch nicht synonym verwendet werden sollten und eine differenzierte Betrachtung erforderlich ist. Personen mit pädophilen sexuellen Interessen weisen dennoch ein erhöhtes Risiko für Missbrauchshandlungen auf, weshalb sie als relevante Zielpopulation im Rahmen von präventiven Massnahmen zu adressieren sind.

Herausforderungen im Rahmen der Beratung und Behandlung

Ziel der Beratung oder Behandlung innerhalb der Präventionsstelle Pädosexualität ist, dass Betroffene lernen, ihre pädophile oder hebephile Neigung zu akzeptieren und in ihr Selbstbild zu integrieren. Neben der Verantwortungsübernahme für die sexuelle Neigung sollen Strategien zur Stärkung der Verhaltenskontrolle sowie von Ressourcen deliktpräventiv wirken. Die Behandlung umfasst psychotherapeutische, sexualwissenschaftliche, medizinische und psychologische Ansätze sowie die Möglichkeit einer zusätzlichen medikamentösen Unterstützung. Neben der Behandlung von Betroffenen wird auch die Beratung von Angehörigen sowie die Möglichkeit von anonymen Fallbesprechungen für externe Fachpersonen angeboten.

Obwohl Verhaltenskontrolle und damit die Deliktprävention an erster Stelle stehen, gehen die Herausforderungen für die meisten Betroffenen weit darüber hinaus. Im Rahmen der klinischen Arbeit mit Betroffenen stehen dabei der (lebenslange) Umgang mit der inneren Zerrissenheit, dem Anderssein und nicht zuletzt der Einsamkeit, die ein solches Störungsbild bedingt, im Zentrum. Als besonders schmerzhaft wird oft der lebenslange Konflikt zwischen dem Wunsch nach einer Beziehung einerseits und der moralischen und gesellschaftlichen Unmöglichkeit seiner Erfüllung andererseits beschrieben. Die Folgen sind die lebenslange Enthaltung von Liebe, Partnerschaft und Sexualität sowie ein Leben in der Angst, als Pädophile oder Pädophiler entlarvt zu werden. Dies führt zu einer hohen psychischen Belastung, die wegen ausgeprägter Scham- und Schuldgefühle sowie der Angst vor Stigmatisierung und Ausgrenzung nie oder nur selten gegenüber Dritten artikuliert werden kann. Dieses «Dilemma des pädophilen Mannes», wie Gunter Schmidt es beschreibt, bezeichnet eine grosse, meist lebenslange Bürde für die Betroffenen.

Künstlerische Aufarbeitung eines Tabuthemas

Diese innere Zerrissenheit und Belastung von Betroffenen ist selten Gegenstand des öffentlichen Diskurses, kann aber einen empathischen Zugang ermöglichen, der sonst schwerfällt. Entsprechend wertvoll ist auch eine künstlerische Aufarbeitung des Themas, wie sie Ben Gijsemans in seinem Comic «Aaron» gelungen ist. «Aaron» zeichnet einen Ausschnitt des Alltags eines jungen Mannes mit Pädophilie und fokussiert dabei vor allem auf die psychologischen und biographischen Folgen des Störungsbildes, die auch im Rahmen der Behandlungen an der Präventionsstelle Pädosexualität immer wieder im Zentrum stehen, und verdeutlicht damit die Notwendigkeit, adäquate Unterstützung für Betroffene bereitzustellen.

Ein Auszug aus dem Comic

Ein Auszug aus dem Comic "Aaron" von Ben Gijsemans, Edition Moderne

PDF Download - Auszug aus dem Comic «Aaron»

„Aaron“ von Ben Gijsemans
Edition Moderne
ISBN 978-3-03731-245-2
€ 35 / CHF 42

Mit einem Nachwort von M. Sc. Fanny de Tribolet-Hardy, Leiterin Präventionsstelle Pädosexualität, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

Erscheint im Mai 2023 und ist ab sofort vorbestellbar.

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